Spätestens seit dem 2:2-Unentschieden gegen den VfL Osnabrück ist die Laune rund um den 1. FC Nürnberg nicht die beste. Dabei ging die Rückrunde mit dem souveränen 3:0-Erfolg über Hansa Rostock so gut los. Nur 2 Wochen später ist die Gefühlswelt eine ganz andere. Folgt nun gegen den SV Wehen Wiesbaden wieder die Wende?
Nürnberg und Wehen: 2 Punkte und 2 Plätze Unterschied
Der kommende Gegner aus Wehen steht mit 26 Punkten und dem 11. Tabellenrang nur 2 Punkte und 2 Positionen hinter dem Club. Dass mit Rostock, Braunschweig und Osnabrück nur die 3 Letzten der Tabelle weniger Tore erzielten als die Elf von Markus Kauczinski, fällt dabei kaum ins Gewicht. Zeitgleich stellen die Hessen nämlich die drittbeste Abwehr der Liga und stehen deshalb – für den Aufsteiger absolut zufriedenstellend – im Mittelfeld der Liga. Nachdem man das erste Spiel der Rückrunde in Magdeburg verlor, holte der SV zuletzt starke 4 Punkte aus den Partien gegen die Hertha und den KSC und unterstrich dadurch seine berechtigten Hoffnungen auf den Klassenerhalt.
Wehener Spielweise: Gute Organisation als A und O
Der Fokus der Hessen liegt klar auf dem Spiel gegen den Ball. Man fühlt sich wohl darin, im 5-4-1 sehr tief zu verteidigen und die Räume hinter der eigenen Abwehr so gering wie möglich zu halten. Auch wenn man zuletzt gegen den KSC deutlich höher und aktiver verteidigte, fokussiert man sich in der Regel auf das Verschieben in Breite und Tiefe. Die Kauczinski-Elf verdichtet bewusst das Zentrum, um mit dem kopfballstarken Defensivzentrum um Mathisen, Vukotic & Co. bei Flanken zur Stelle zu sein. Auch die Daten belegen die abwartende Spielweise: die wenigsten Sprints, die wenigsten intensiven Läufe und die meisten abgefangenen gegnerischen Pässe verzeichnet der Aufsteiger.
Im Spiel mit Ball versucht man auch immer wieder, durch ruhigere Ballbesitzphasen den Ball in den eigenen Reihen zu halten. Anspielstation im Zentrum vor der Dreierkette ist dabei der 6er Jacobsen. Der Däne wird aber selten angespielt, um das Spiel progressiv zu gestalten, sondern eher, um den Ball zu sichern. Die Positionierung im Ballbesitz ist eher risikoarm und auf Absicherung bedacht. Nach vorne geht es häufig über die Flügel. Der nominelle Linksaußen Hyun-ju Lee, eines der interessantesten Talente der Liga, rückt dabei oft in die Spielfeldmitte und agiert dabei extrem ballsicher. Damit macht er Raum für den hinterlaufenden Schienenspieler – zuletzt 2-mal Lasse Günther, der mit seiner hohen Workrate den Weg bis zur Grundlinie sucht. Auf der rechten Seite isoliert man häufig Thijmen Goppel, der situativ vom rechten Halbverteidiger (Carstens oder Mockenhaupt) unterstützt wird. Der schnelle Goppel ist zudem der Wehener Spieler mit den meisten Dribblings und Flanken. Zielspieler für Flanken und Hereingaben ist der Kroate Prtajin, der mit 7 Treffern die bis dato mit Abstand meisten der Kauczinski-Elf erzielen konnte.
Stärken: Offensivstandards und enge Abstände
Sage und schreibe 42% der 24 Wehener Saisontore erzielten sie nach ruhendem Ball. Die Standards sind eine echte Waffe. So erzielte man beispielsweise schon 5 Treffer nach eigenem Eckball (nur St. Pauli und Fürth mehr), obwohl man sich die wenigsten Ecken der Liga erarbeitet. Hiervor sollte der Club gewarnt sein. Eine weitere Stärke ist zweifelsfrei die bereits erwähnte Kompaktheit, durch welche man dem Gegner nur wenig Raum zwischen den eigenen Ketten anbietet.
Schwäche: Chancenkreation & -Verwertung
Dass Wehen Wiesbaden die viertschwächste Torausbeute der Liga vorzuweisen hat, hängt speziell mit zwei Punkten zusammen. Zum einen tun sich die Wehener schwer, gegen geordnete Defensiven kreative Lösungen zu finden. Demzufolge gibt es kein Team, das bisher weniger Großchancen aus dem Spiel heraus kreierte. Dennoch zeigt die Kauczinski-Elf, dass sie in einzelnen Spielen immer wieder eine hohe Offensiv-Power entwickeln kann, was zum zweiten Punkt der Offensiv-Probleme führt: der Chancenverwertung. Nach Expected-Goals wären sogar 7 Tore mehr möglich gewesen für den SVW. Insbesondere Stürmer Prtajin ließ schon die ein oder andere gute Tormöglichkeit für seine Farben liegen. Die Kombination aus Problemen bei der Chancenkreation und -Verwertung führt letztendlich dazu, dass Wehen in nur 6 von 20 Spielen mehr als ein Tor erzielen konnte.
Key Player: Ex-Cluberer & Standardkönig Robin Heußer
Wie schon letzte Woche gegen den VfL Osnabrück rückt wieder einmal ein ehemaliger Spieler des 1. FC Nürnbergs in den Fokus. Robin Heußer, von 2013 bis 2020 beim Club aktiv, fungiert als als Mittelfeldregisseur beim SV Wehen Wiesbaden. Tatsächlich kreierten nur zwei Spieler in der 2. Bundesliga mehr Chancen (50 kreierte Chancen, bester Nürnberger Goller mit 24) als der 25-jährige zentrale Mittelfeldspieler. Insbesondere bei ruhenden Bällen sorgt Heußers rechter Fuß für viel Gefahr. Schon vier Tore konnte er durch Standardsituationen vorbereiten. So zum Beispiel auch beim 2:1-Sieg des FCN im Hinspiel, als seine Ecke auf Prtajin für die zwischenzeitliche Wehener Führung sorgte. Aber auch unabhängig von Ecken und Freistößen ist Heußer mit seiner Vielseitigkeit unverzichtbar für das Wiesbadener Spiel. Mit seiner Spielintelligenz, Laufstärke und Ballsicherheit laufen viele Angriffe über ihn. Zudem arbeitet er fleißig gegen den Ball, was sein umfassendes Profil als Box-to-Box-Achter abrundet.
Nürnbergs Key to Win: Aktivität, Dominanz & flache Lösungen
Ganz entscheidend wird es am Freitagabend für die Mannschaft von Trainer Cristian Fiél sein, wieder eine andere Aktivität an den Tag zu legen als noch in der Vorwoche. Der Gegner aus Wehen hatte zuletzt im Oktober mehr Ballbesitz als der Gegner und verzeichnet hier über die Saison gesehen den zweitgeringsten Anteil der Liga. Insofern wird der Club um Lösungen mit Ball gefragt sein. Diese Rolle gilt es anzunehmen und die eigentlich vorhandenen spielerischen Qualitäten an den Tag zu legen – im Idealfall mal über 90 Minuten.
Gegen die robuste Innenverteidigung der Hessen bedarf es vor allem flacher Lösungen. Schließlich ließen die Wehener zwar die meisten Flanken der Liga zu, kassierten allerdings erst ein Tor danach. Ebenso ist lediglich ein Gegentor nach Kopfbällen Ligaspitze. Dementsprechend wird sich Sebastian Andersson an den Wiesbadener Verteidigern aufarbeiten müssen, um Räume für seine dynamischen Mitspieler zu schaffen. Durch schnelle Passzirkulation in Verbindung mit viel Bewegungen in den Halb- und Zwischenräumen muss der Club versuchen, die Kompaktheit der Wehener zu durchbrechen und 1-gegen-1-Situationen herzustellen. Dass man somit dem Aufsteiger Probleme bereiten kann, beweist der Blick auf die Expected Goals, die deutlich mehr Gegentore für den SVW vorgesehen hätten. Auch dank dem überragenden Torhüter Stritzel kassierte man fast 12 (!) Gegentore weniger als erwartet und stellt somit die drittbeste Abwehr der Liga. Nichtsdestotrotz sollte diese Statistik dem Club Mut machen, da sich auch gegen tiefstehenden Wehener Chancen ergeben können.
Ausblick: mehr Chancen als gedacht
Das Torverhältnis von Wehen Wiesbaden (24:26) lässt ein chancenarmes Spiel vermuten. Kurioserweise sagt die Anzahl der Schüsse in Spielen mit SVW-Beteiligung etwas anderes. Rund 28 Schüsse pro Spiel sind nämlich nicht mal beim KSC, wo die meisten Tore in der Liga fallen, zu sehen. Dies wird, wie bereits thematisiert, durch die Expected Goals-Statistik bekräftigt, wonach ganze 19 Tore mehr bei Spielen des SVW hätten fallen müssen. Doch was heißt das nun für den 1. FC Nürnberg? In aller erster Linie müssen zwei Dinge verhindert werden. Ein früher Rückstand, bei dem sich Wehen weiter einigeln und auf seine Momente warten kann. Viele unnötige Fouls, wodurch der rechte Fuß Heußers die unheimliche Effizienz bei Standards in Szene setzen kann. Dadurch kann ein Großteil der Wehener Offensivgefahr eingeschränkt werden. Darüber hinaus muss der Club die angesprochenen Lösungen mit Ball finden, um die defensiven Schwächen des Gegners zu offenbaren. Inwiefern das die Fiél-Elf in Wiesbaden auf den Platz bringen kann und wird, ist angesichts der Achterbahnfahrt der vergangenen Wochen und Monate nur schwer zu prognostizieren. Zumal mit Can Uzun und Kanji Okunuki zwei Leistungsträger drohen krankheitsbedingt auszufallen. Gleichwohl verfügt der 1. FC Nürnberg definitiv über die fußballerischen Werkzeuge, um Punkte beim unangenehm zu bespielenden SV Wehen Wiesbaden zu entführen.
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