Emotionale Diskussion um Reichert
Wenngleich man die Meinungsäußerungen in den sozialen Medien nicht als Querschnitt einer Gesellschaft – in diesem Fall Fangruppe – betrachten sollte, so ist es dennoch überraschend, wie intensiv und emotionalisiert derzeit eine Diskussion um Jan Reichert, die Nummer 1 im Tor des 1. FC Nürnberg, geführt wird. Insbesondere nach dem 1:3 auf Schalke, wo der Torhüter nach der Einschätzung vieler Beobachter bei allen drei Toren nicht gut ausgesehen haben soll, wird die Kritik am 23-Jährigen zunehmend lauter.
Prevented Goals als Beweis für fehlende Zweitliga-Tauglichkeit?
Bei all der Emotionalität empfiehlt sich ein nüchterner Blick auf die Daten: Fällt Reichert im Vergleich mit anderen Zweitliga-Keepern wirklich ab? Eine gern genutzte Kennzahl dieser Tage sind diesbezüglich „Prevented Goals“, die modellieren, wie viele Gegentore ein Schlussmann anhand der gemessenen Qualität der gegnerischen Abschlüsse hätte kassieren müssen.
Demnach kassierte Reichert in dieser Saison bereits vier (je nach Datenanbieter sogar noch mehr) Gegentore zu viel – nur drei der 17 Zweitliga-Keeper, die mindestens die Hälfte der aktuellen Spielzeit im Tor standen, weisen einen schlechteren Wert auf (Rang 14 von 17). Der Beweis also, dass der FCN-Keeper über kein Zweitliga-Format verfügt? Mitnichten, wie der Blick auf viele weitere Daten zeigt.
Laut Prevented Goals kassierte Christian Mathenia in der Vorsaison rund acht Gegentore mehr als erwartet – mit Abstand schwächster Wert der 2. Bundesliga-Saison 2023/2024, obwohl der erfahrene Schlussmann nur 15 Spiele absolvierte.
Gehaltene Bälle: Bereits 34 Gegentore kassierten die Franken in der bisherigen Saison – nur vier Teams mehr. Weitere 59 Schüsse auf das Club-Tor konnte Reichert abwehren. Damit liegt seine Quote an parierten Schüssen bei 63 % – Platz 13 von 17 Torhütern.
Hohe Fangsicherheit – Probleme bei der Strafraumbeherrschung?
Fangsicherheit: Jan Reichert strahlt Unsicherheit aus – diese These wird zumindest anhand einer Quote widerlegt. Denn 58 % der Bälle, die der Schlussmann pariert, hält er auch fest – Bestwert der 2. Bundesliga.
Strafraumbeherrschung: Was abgefangene Flanken angeht, zählt der gebürtige Schweinfurter zum unteren Drittel der Liga. Nur 8 % der gegnerischen Flanken kann Reichert abfangen – zwar nur leicht unter dem Ligaschnitt (8,5 %), aber trotzdem lediglich Platz 12 von 17.
Dazu sei erwähnt: Das Verteidigen von Flanken ist oftmals eine Philosophiefrage. Sollen überwiegend Torhüter oder Innenverteidiger die Bälle klären? Dass die Abstimmung zwischen Torhüter und Abwehr beim FCN diesbezüglich nicht allzu schlecht ist, zeigt die Anzahl der Gegentore nach Flanken, die mit vier drittbester Wert der Liga ist.
Anfällig aus kurzer Distanz
Fernschüsse: Der Club kassierte bislang nur zwei Gegentore von außerhalb des Strafraums – nur zwei Teams weniger. Demzufolge parierte Reichert 91 % dieser Distanzschüsse. Ein guter Wert, der Rang 5 von 17 in der Liga bedeutet.
Schüsse aus kurzer Distanz: 74 % aller Großchancen können die Gegner gegen den 1. FC Nürnberg verwerten – Höchstwert der Liga, der auch, aber nicht nur, mit Reicherts schwacher Quote an abgewehrten Schüssen von innerhalb des Strafraums zusammenhängt. Nur 55 % bedeuten Rang 14 von 17.
Fehleranfälligkeit: Auch gegen Schalke war es schwer, Reichert ein Gegentor direkt zuzuschreiben. So sieht es auch die Statistik über die ganze Saison. Demnach zählt er zu den drei Torhütern, die bislang noch keinen Fehler begingen, der einen gegnerischen Abschluss oder ein Gegentor nach sich zog, sowie noch keinen Elfmeter verursachten. Rang 1 von 17.
Schwächen beim Spiel mit Ball
Passpräzision: Nicht nur gegen Schalke war sichtbar, dass Reicherts Spiel mit dem Ball noch ausbaufähig ist. Seine Passgenauigkeit von 86 % unterbieten nur vier Zweitliga-Torhüter – Rang 13 von 17.
Lange Pässe: Ähnlich sieht es bei der Präzision seiner langen Pässe aus, die mit 61 % sogar den drittschwächsten Wert der Liga bedeutet – und das, obwohl die Durchschnittsdistanz seiner Pässe vergleichsweise gering ist – Rang 15 von 17.
Reichert im soliden Torhüter-Mittelfeld
Freilich handelt es sich dabei „nur“ um Zahlen, und jeder dieser Werte müsste wohl unterschiedlich gewichtet werden. Und trotzdem können sie dabei helfen, zumindest annäherungsweise ein objektives (wenn auch vereinfachtes) Bild über die bisherige Saison von Jan Reichert zu zeichnen. Nimmt man den Durchschnitt der Platzierungen von Reichert bei diesen neun Parametern, so würde er auf einen Durchschnittsrang von 9,8 kommen – solides Mittelfeld – also dort, wo der 1. FC Nürnberg derzeit in der Tabelle zu finden ist.