Lukas Görtler: vom Bankdrücker zum besten Spieler der Schweiz?

Kreativität, Torgefahr & Defensivpräsenz - Lukas Görtler vereint alles, was man sich von einem zentralen Mittelfeldspieler nur wünschen kann. Ballorientiert analysiert die großen Stärken des gebürtigen Bambergers und zeigt, warum der Kapitän so gut zum FC St. Gallen passt.

Lukas Görtler FC St. Gallen Analyse

Vom Bankdrücker zu Deutschlands Top-Scorer

Er passt mit seiner Spielweise und von seiner Art her hervorragend zu uns und soll bei uns eine tragende Rolle im Team einnehmen.

– Sportchef Alain Sutter

Als der FC St. Gallen im Sommer 2019 die Verpflichtung von Lukas Görtler bekanntgab, traute man dem damals 25-Jährigen von Beginn an eine wichtige Rolle beim zweimaligen Schweizer Meister zu. Ein großer Vertrauensschuss. Denn in den zwei Jahren zuvor kam der gebürtige Bamberger beim FC Utrecht auf gerade einmal fünf Startelf-Einsätze in der Eredivisie.

Obwohl Görtler die Zeit in den Niederlanden überwiegend auf der Bank verbrachte, war sie dennoch sehr entscheidend für den weiteren Verlauf seiner Karriere. So war es sein damaliger Trainer Dick Advocaat, der den gelernten Offensivspieler zum zentralen Mittelfeldspieler umfunktionierte. Eine Position, die Görtler bis heute nicht mehr hergab und die ihn zum besten deutschen Spieler im Jahre 2022 machte. Zumindest, wenn man die Scorerpunkte betrachtet. Trotz der mit Defensivaufgaben verbundenen Achterposition kam Görtler auf beeindruckende 25 Scorerpunkte in 32 Liga- und Pokalspielen.

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Kein deutscher Spieler scorte mehr im Kalenderjahr 2022 als Lukas Görtler.
Daten via transfermarkt.de

Mehr Gattuso als Messi?

Doch der FC St. Gallen profitiert seit nunmehr über dreieinhalb Jahren von weitaus mehr als nur den Scorer-Qualitäten Görtlers. „So gleicht sein Spielertyp wohl eher dem eines Gattusos statt dem eines Messis“ – so umschrieb der Radiosender FM1Today die Spielweise des 28-jährigen Mittelfeldspielers. Tatsächlich ist Görtler kein Kind von Traurigkeit. In 112 Super League-Einsätzen kommt der Rechtsfuß auf die stolze Summe von 36 gelben Karten. Das beweist weniger welch unfairer Spieler Görtler ist. Viel mehr unterstreicht es die Bereitschaft, sich für keinen Zweikampf zu schade zu sein.

Kapitän von St. Gallen

Um zu erkennen, wie wichtig Görtler für den Tabellenzweiten ist, genügt schon ein Blick auf seinen linken Arm. Denn seit letzter Saison trägt der Fanliebling mit vollem Stolz die Kapitänsbinde der Espen. Ganz im Stile eines echten Führungsspielers geht Görtler Woche für Woche mit starken Leistungen voran. Dabei kommt Görtler auch der Spielstil seines Trainers und Landsmann Peter Zeidler entgegen.

Er war für mich einer der Gründe, nach St. Gallen zu kommen. Sein Spielstil ist wie für mich gemacht. Wir versuchen immer zu agieren, spielen aggressiv und mutig nach vorn, bleiben aber dabei immer bescheiden. Am Anfang der Gedanken steht immer das Pressing und der Ballgewinn.

– Görtler im Jahr 2020 via transfermarkt.de

St. Gallens Spielweise: aktiv, intensiv, offensiv

An der aktiven Spielweise der St. Galler hat sich auch in der Saison 2022/2023 nichts geändert. Kein Team der Super League legt in puncto Zweikampf und Pressing eine höhere Intensität gegen den Ball an den Tag. Dank starker Mannorientierungen verzeichnet man zudem die meisten Balleroberungen der Liga. In der Folge ergeben sich viele Abschlusssituationen im Umschaltspiel.

Noch etwas besser funktioniert allerdings das Positionsspiel (53% Ballbesitz) der St. Galler. Mit schnellem und nicht immer risikolosem (meiste Ballverluste der Liga) Vertikalspiel kreiert man die mit Abstand meisten Torschüsse der Liga. Dass die meisten Angriffe der St. Galler über die rechte Seite initiiert werden, ist dabei sicherlich kein Zufall. Bekanntermaßen ist Lukas Görtler auf der halbrechten Seite in Zeidlers 4-Raute-2 Formation zu Hause.

Görtler grenzenlose Kreativität

Verglichen mit Spielern auf seiner Position ist Lukas Görtler in dieser Liga in Sachen Kreativität kaum das Wasser zu reichen. Zwar liegt Görtler mit einer Passquote von rund 73% unter dem Durchschnitt. Jedoch ist dies mit seiner hohen Risikobereitschaft im Passspiel zu erklären. Statt sich wie in früheren Tagen auf die Fehlerminimierung zu beschränken, versucht Görtler seine Mitspieler mit möglichst großem Raumgewinn in Szene zu setzen. Sei es der „tödliche“ Steckpasse hinter die Kette oder die gefühlvolle Flanke in den Sechzehner. Görtler hat nahezu jedes Werkzeug im Repertoire und lässt der gegnerischen Abwehr kaum eine ruhige Minute.

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Die hellblaue Linie stellt nicht etwa ein Begrenzung des Diagramms dar, sondern verdeutlicht die Performance-Daten von Lukas Görtler. In fast allen Kreativdaten verzeichnet Görtler-Bestwerte und ist somit dem Liga-Durchschnitt deutlich voraus.
(Werte pro 90 Minuten / mindestens 912 Minuten / via wyscout)

Offensive Präsenz

Dass Görtler die meisten erfolgreichen Offensivaktionen aller zentralen Mittelfeldspieler der Super League vorweisen kann, liegt auch seiner direkten Torgefahr. Aus der Tiefe kommend nimmt er gerne Maß aus der Entfernung. Da er allerdings auch immer wieder den direkten Weg zum Tor sucht, konnte er alle seine sechs Saisontore innerhalb des Sechzehners erzielen. Ein Grund, warum es für Görtler als Stürmer nie so richtig funktionierte, könnte seine Chancenverwertung sein. Denn laut expected Goals wären in seiner gesamten Zeit beim FC St. Gallen rund neun Tore mehr möglich gewesen. Angesichts seiner vielen anderen Qualitäten sei ihm ein kleiner Makel von den Fans der Espen wohl verziehen.

Wertvoller Pressingspieler

Zu seinen weiteren Qualitäten gehört die beim FC St. Gallen so wichtige Arbeit gegen den Ball. Dank starker Antizipation fängt Görtler nach wie vor bei Pressingaktionen viele Bälle des Gegners ab, um den direkten Gegenangriff einzuleiten. Aufgrund seines zunehmenden Offensivdrangs nahm jedoch die Häufigkeit der geführten Defensiv-Zweikämpfe in den letzten Jahren ab. Waren es in den Vorjahren noch rund acht Zweikämpfe pro 90 Minuten, so sind es jetzt „nur“ noch sechs. Da auch in der Offensive die Frequenz an direkten Duellen abnahm, ist dies sicherlich auch als Teil eines Reifeprozess zu erklären. Durch seine cleveren Laufwege und Bewegungen weiß Görtler auch ohne direkten Gegnerkontakt viele Situationen zu lösen.

Ich habe mich fußballerisch und physisch weiterentwickelt und jetzt kommen meine Stärken viel besser zum Tragen. Heute bin ich viel konstanter in meinen Leistungen.

Auf dem Weg zur St. Galler Legende?

Seine Vielzahl an Fähigkeiten machen Görtler wohl zu einem der besten Fußballer, die die Schweizer Super League aktuell zu bieten hat. Darüber hinaus passt seine Spielweise perfekt zur Spielidee von Trainer Zeidler. Was dem Oberfranken jetzt noch fehlt, ist ein Titel mit dem FC St. Gallen. Bereits in seiner ersten Saison scheiterte man nur denkbar knapp an der Meisterschaft. Angesichts des großen Berner Vorsprungs ist auch in dieser Saison an den Ligatitel nicht zu denken. Aber auch ohne Pokale ist Görtler auf gutem Weg zu einer St. Galler Legende zu werden. Schon 2021, als er lukrative Angebote ablehnte, und sich für eine Vertragsverlängerung bis 2026 beim FCSG entschied, trugen ihn die Fans auf Händen. Görtler zahlt das große Vertrauen, das man ihm von Tag eins entgegenbrachte, weiter mit starken Leistungen zurück. Demzufolge wird er sich genaustens überlegen, ob er dem Interesse anderer Vereine nachkommt.

Ich habe mir in St. Gallen etwas aufgebaut und das hat für mich einen großen Wert. Das würde ich nicht einfach so aufgeben. Ich will jedoch nicht kategorisch alles für die Zukunft ausschließen.


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