Erwartete Herangehensweise
Beide Trainer verzichteten sowohl personell als auch taktisch auf große Überraschungen. Der 1. FC Nürnberg verteidigte sehr tief in der eigenen Hälfte. Die Formation gegen den Ball war eine Mischung aus einem 4-3-3 und 4-4-2, je nachdem wo sich Goller positionierte. Auffällig war, dass der Club zwar nicht die vor dem Spiel vielzitierte Manndeckung spielte, aber klare Zuordnungen in den Räumen hatte. So schob Sebastian Andersson konsequent auf Hauke Wahl, sobald sich dieser im St. Paulianer 6er-Raum positionierte. Erik Wekesser empfing den einrückenden Rechtsverteidiger Treu und Goller dessen Pendant Ritzka. Die gewohnt extrem vielen Positionsrochaden der Hürzeler-Elf verteidigte man im 1. Durchgang über sehr weite Phasen diszipliniert und behielt seine Kompaktheit bei. Vor allem Ritzka, Saad und Hartel wechselten die Positionen nahezu permanent, um Freiräume zu kreieren. Der FCN ließ sich aber nicht locken und sicherte die Tiefe gut ab, die die Gäste lange Zeit nicht bespielen konnten.
Nürnberger Ansätze ersticken früh
Die großen Nürnberger Probleme lagen über 90 Minuten gesehen gar nicht in der Defensive. Vor allem im Spiel mit Ball enttäuschte man – oder wie Cristian Fiél sagte hat man „nicht stattgefunden“. Durch die extrem engen Positionierungen der Gäste waren diese nach Ballverlust sofort mit 2 bis 3 Spielern ballnah im Gegenpressing aktiv. Der Club verlor zu viele Bälle zu schnell, wodurch Entlastungsangriffe nahezu komplett ausblieben. Den ein oder anderen Moment für einen Diagonalball oder eine Spielverlagerung verpasste man zudem. Im eigenen Spielaufbau fand man kaum Lösungen, um sich aus dem 5-2-3-Angriffspressing der Gäste zu befreien. Nach 30 Minuten zog Fiél Wekesser von der linken Außenbahn in den linken Halbraum. „Um eine Option mehr zu haben. Aber wir haben ihn nicht gefunden“ erklärte der FCN-Trainer nach der Partie im Gespräch.
Fiéls Umstellungen verpuffen
Was man Cristian Fiél nicht vorwerfen kann, ist, dass er das Spiel mit Ball nicht verändern wollte. Zum einen die bereits oben erwähnte Umstellung von Wekesser. Zum anderen veränderte sich auch die Struktur in der ersten Linie beim Spielaufbau. Statt mit 3 Spielern (Horn, Jeltsch, Valentini) aufzubauen, tat man dies nach Valentinis Auswechslung nur noch mit den beiden Innenverteidigern. In der Schlussphase agierte man in einem 4-1-2-3 und war mit Duman und Uzun auf der Doppel-8 durchaus offensiv ausgerichtet. Es brachte nur leider alles nichts. Die Nürnberger Offensive kam kaum in gefährliche Situationen und konnte vor allem keinen Ball festmachen – sowohl mit als auch ohne Andersson.
Rückstand: wenig Intensität, offenes Zentrum & Unterzahl
Obwohl der 1. FC Nürnberg bis kurz vor der Halbzeit keine Großchance für den Tabellenführer zuließ, hatte sich die Führung für die Gäste nach 43 Spielminuten angedeutet. Dabei wäre der Rückstand durchaus vermeidbar gewesen. Uzun setzte den andribbelnden Dzwigala nicht unter Druck. Gleichzeitig verfolgte Andersson, dessen Aufgabe es war, sich im Spiel gegen den Ball an Wahl zu orientierten, nicht den Lauf des St.Pauli-Sechsers in den zentralen Raum vor dem Nürnberger Sechzehner. Auch der an Hartel orientierte Castrop rückte zu spät in die Mitte ein, um Schlimmeres verhindern zu können.
„Der Plan war in der ersten Halbzeit, mit Seb Andersson auf ihren Sechser zu schieben. [..] Wenn sie den Sechser finden, kriegst du Probleme.“
Cristian Fiél
im Gespräch nach dem Spiel
Die Folge: Dzwigala konnte ohne Druck den ins Zentrum trabenden Wahl bedienen. Was dann folgte, war die spielerische Klasse des Tabellenführers. Nach einer schnellen Spielverlagerung auf den rechten Flügel konnte Treu vom Sechzehner-Eck aus unbedrängt flanken. Bei der Boxverteidigung hingegen muss sich der Club wieder an die eigene Nase packen. Denn in der letzten Linie auf Höhe des Fünfmeterraums waren die Hamburger Angreifer in einer 4:2-Überzahl. Während Horn sinnvollerweise den ersten Pfosten abdeckte, blieben Goller und Castrop im verwaisten Rückraum stehen. Dadurch konnten die alleine gelassenen Valentini und Jeltsch den zum Tor führenden Kopfball von Eggestein nicht mehr verhindern.
Krasser Fehler im Spielaufbau zur Entscheidung
Ähnlich vermeidbar wie der erste Gegentreffer war das spielentscheidende 2:0 des FC. St. Pauli nach 61 Minuten. Denn der andribbelnde Horn spielte im Spielaufbau rund 35 Meter vor dem Tor den Ball Metcalfe in die Füße. Danach brauchte der FCN zu lange, um die hinter Horn entstandene Lücke zu schließen. Weil Jeltsch das Abseits aufhob, konnte Metcalfe den Ball zu Eggestein durchstecken, der wiederum nur auf den freistehenden Hartel querlegen musste.
Keine Reaktion & kein Risiko nach Rückstand
Rückblickend war das 2:0 für die Gäste die Entscheidung. Doch musste es das wirklich sein, zumal noch eine halbe Stunde zu spielen war? Eine Reaktion seitens des FCN war jedenfalls kaum zu erkennen. Dies belegt auch die Statistik. Der FCN initiierte ab Minute 61 lediglich vier Angriffe aus dem eignen Ballbesitzspiel heraus und kam kein einziges Mal mehr zum Abschluss. Es wirkte so, als hätte man sich schon lange vor Abpfiff mit dem Ergebnis abgefunden.
„Wenn du sie höher anläufst, finden sie immer wieder Lösungen in deinem Rücken. Dann gehst du die Gefahr, dass du noch ein drittes und viertes bekommst. Das wollten wir nicht.“
Cristian Fiél
nach dem Spiel auf der Pressekonferenz
Tatsächlich wollte Fiél, wie er auf der PK bestätigte, das Risiko einer höheren Niederlage meiden. Sicherlich hätte ein 0:3 oder 0:4 der Stimmung nicht gutgetan. Aber angesichts der stellenweise zu vernehmenden Pfiffe im Stadion (außerhalb der Nordkurve) scheint die Risikomeidung den Fans kein besseres Gefühl gegeben zu haben. Freilich ist das Argument der Tordifferenz plausibel. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass der FCN aufgrund seiner ohnehin schon schlechten Tordifferenz am Saisonende eine Platzierung gutmachen kann. Zudem hätte man auch noch nach einem möglichen 0:3 sich zurückziehen können. So allerdings entsteht das Gefühl, man habe sich nach knapp einer Stunde mit dem Ergebnis arrangiert. Selbstverständlich – das zeigen auch die Wechsel – wollten Fiél und seine Mannschaft nochmals versuchen, den Weg ins Spiel zurückzufinden. Das letzte Risiko wollte man dabei allerdings nicht gehen. Da der FC St. Pauli logischerweise mit dem Spielstand zufrieden war, entwickelte sich in der Schlussphase ein ereignisarmes Spiel, das der Tabellenführer souverän und ohne Probleme nach Hause fuhr.